Staubwedel statt Powerpoint, Kittelschürze statt Businessoutfit – in den sozialen Medien feiert die „Tradwife“ ein erstaunliches Comeback. Immer mehr junge Frauen inszenieren sich online als moderne Version der 50er-Jahre-Hausfrau. Tradwife-Trend? Das ist die kontroverse Hinwendung zur traditionellen Hausfrau.
Eine moderne Frau, die mit Hingabe den Haushalt schmeißt und ihren Mann bei Laune hält? Wir haben hinter die pastellfarbene Fassade geschaut und uns gefragt: Was steckt hinter diesem unerwarteten Retro-Trend?
Inhaltsverzeichnis
Tradwife-Trend – was sind Tradwives genau?
Der Begriff „Tradwife“ – kurz für „traditional wife“ – ist das neue Buzzword für einen alten Lifestyle. Gemeint sind Frauen, die bewusst die Karriereleiter links liegen lassen und stattdessen Vollzeit-Hausfrau und Mutter sein wollen. Der Ehemann bringt die Brötchen heim, sie sorgt für das gemütliche Nest – retro, aber angeblich aus freier Überzeugung.
Was in den USA und UK längst viral geht, schwappt jetzt auch nach Deutschland. Die selbsternannten Tradwives positionieren sich dabei ganz bewusst als Gegenentwurf zur powernden Karrierefrau. Ihr Motto: Backen statt Bilanzen, Windeln statt Workload.
Doch für die Anhängerinnen ist es mehr als nur ein bisschen Wischen und Kochen. Es geht um einen kompletten Lifestyle mit eigener Ästhetik und Wertvorstellungen. „Zurück zu den Wurzeln“ ist die Devise – wobei die Wurzeln verdächtig nach den 1950ern aussehen. Bloß mit Instagram-Account.
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Inszenierung des Tradwife-Trends in sozialen Medien
Auf Plattformen wie TikTok und Instagram präsentieren Tradwives ihren Lebensstil auf eine sehr ästhetische Weise:
- Home Sweet Home: Das eigene Nest wird zum Instagram-Hotspot. Jedes Rüschenkissen sitzt perfekt, jede Blumenvase ist genau im richtigen Winkel platziert. Der Shabby-Chic-Bilderrahmen mit dem Hochzeitsfoto thront über dem Kaminsims (den natürlich nicht jede hat, aber so sieht’s in der Insta-Story aus). Dabei dürfen die händisch genähten Gardinen und der duftende Apfelkuchen auf der Anrichte nicht fehlen.
- Der Weg zum Männerherz: Geht bekanntlich durch den Magen – wenn wir den Tradwives glauben. „So verwöhne ich meinen Mann nach einem harten Arbeitstag“ ist ein beliebter Content-Baustein. Von „seinen Lieblingskeksen“ bis zu „8 Dinge, die ich täglich für meinen Mann tue“ – Männerpflege ist Programm. Dass die Kerle hinter der Kamera manchmal etwas genervt von der ständigen Inszenierung wirken, fällt dabei unter den Tisch.
- Foodporn mit Schürze: Selbstgemachte Marmelade, frisches Brot, Sonntagsbraten – alles wird appetitlich in Szene gesetzt. Die Videos, wie der Teig geknetet oder die Suppe gerührt wird, haben etwas hypnotisch Beruhigendes. Einfache Gerichte werden zum kulinarischen Ereignis hochstilisiert – Hauptsache, es sieht auf dem Foto gut aus und lässt sich mit #madewithlove versehen.
- Retro-Chic: Der Kleiderschrank könnte direkt aus „Pleasantville“ stammen. Schwingröcke, Petticoats, hochgesteckte Haare und Perlenketten – alles ist sorgfältig ausgewählt, um die Vintage-Ästhetik zu unterstreichen. Der Look ist manchmal so perfekt, dass er fast kostümhaft wirkt. Aber egal, für den Content muss es aussehen wie aus dem Lehrbuch für 50er-Jahre Hausfrauenglück.
Der Erfolg dieser Inszenierung lässt sich an den Followerzahlen ablesen. Einige der bekanntesten Tradwives haben Hunderttausende oder sogar Millionen Follower auf ihren Kanälen. Sie haben eine große Reichweite und beeinflussen damit potenziell viele junge Frauen in ihrer Vorstellung von Weiblichkeit und Lebensentwürfen.
Besonders auffällig ist, dass der Alltag in den sozialen Medien oft idealisiert dargestellt wird. Die mühsamen und anstrengenden Aspekte des Hausfrauendaseins werden selten gezeigt. Stattdessen dominieren die schönen Momente die Feed-Beiträge der Tradwives.
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Tradwife-Trend – 10 Tradwife-Persönlichkeiten
Hier eine Liste mit 10 prominenten Tradwife-Persönlichkeiten in sozialen Medien:
- Hannah Neeleman (@ballerinafarm)
Mormonen-Mutter von acht Kindern, inszeniert ein idealisiertes Farmleben in Utah mit Millionen-Followern. - Nara Smith (@naraaziza)
Deutschstämmige Influencerin, bekannt für aufwendige Kochvideos und ästhetisierte Hausfrauenideale. - Estee Williams (@esteecwilliams)
Vertritt die „biblische Unterwerfung“ unter den Ehemann und traditionelle Geschlechterrollen. - Ivy Van Dusen (@ivyoutwest)
Ehemalige „Miss Arizona“, zeigt Homeschooling und Homemaking. - Abby Roth (@classicallyabby)
Propagiert klassische Erziehungsideale und thematisiert Burnout bei Hausfrauen. - Jane Williamson (@jane)
„Utah Mom“ mit humorvollen Homemaking-Inhalten und 1,5 Mio. Instagram-Followern. - Rebecca Jackson (@jacksonsandjesus)
Mutter von fünf Kindern, teilt Reisen, Homeschooling und Fitness-Tipps. - Cecily Bauchmann (@cecilybauchmann)
Fokussiert auf Familienroutinen, Rezepte und Mode als Mutter von vier Kindern. - Alena Kate Pettitt
Britische Autorin, die viktorianisch inspirierte Hausfrauenideale verbreitet. - Jasmine Dinis (@jasminediniss)
Zeigt Koch- und Reinigungsroutinen als traditionelle Hausfrau.
Kritik und Kontroversen zum Tradwife-Trend
Die Tradwife-Bewegung steht stark in der Kritik. Hauptargumente der Gegner sind:
- Trügerisches Idyll: Kritiker warnen: Was passiert, wenn der Märchenprinz plötzlich zum Frosch wird? Ohne eigenes Einkommen steht frau schnell mit leeren Händen da, falls die Beziehung in die Brüche geht. „Abhängigkeit kann süß schmecken, aber einen bitteren Nachgeschmack haben“, warnt die Finanzberaterin Jessica Mazur.
- Rentenlücke lässt grüßen: Während die TikTok-Videos die Gegenwart zelebrieren, blenden sie die Zukunft gerne aus. Die bittere Wahrheit: Wer nicht einzahlt, bekommt später auch nichts raus. Die Rente wird zum fernen Luxusgut – und die einst so schicke Tradwife zur Rentnerin mit Minibudget.
- Gleichberechtigung ade?: Die Oma kämpfte für gleichen Lohn, die Mutter für Karrierechancen – und die Tochter postet jetzt, wie sie Hubby’s Hemden bügelt? Feministinnen sehen rot, wenn junge Frauen ihre hart erkämpften Rechte scheinbar so lässig an den Nagel hängen.
- Lifestyle der Privilegierten: Hand aufs Herz: Wer kann sich diesen Luxus wirklich leisten? Der Tradwife-Lifestyle funktioniert nur mit einem Partner, der genug verdient, um die ganze Familie durchzubringen. In Zeiten steigender Lebenshaltungskosten bleibt das für viele ein unerfüllbarer Traum.
- 1950er mit Rosabrille: Die Zeit, die da so glorreich beschworen wird, war für Frauen alles andere als golden. Kein eigenes Konto, kein Recht auf Arbeit ohne Erlaubnis des Ehemanns, kein Schutz vor häuslicher Gewalt – all das wird in der nostalgischen Verklärung gerne ausgeblendet.
- Klischeefalle: Mit dem sorgsam drapierten Petticoat kommt oft auch das komplette Rollenklischee daher. Er der starke Beschützer, sie die sanfte Pflegerin – so stereotyp, dass selbst Barbie und Ken anerkennend nicken würden.
Feministische Stimmen sehen den Trend besonders kritisch und betonen, dass die persönliche Entscheidung einzelner Frauen in einem größeren gesellschaftlichen Kontext betrachtet werden muss. Die öffentliche Glorifizierung traditioneller Rollenbilder könnte demnach negative Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter haben.
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Tradwife-Trend und gesellschaftliche Implikationen
Der Tradwife-Trend wirft wichtige Fragen auf. Viele Frauen fühlen sich zwischen Beruf und Familie überfordert, und der Tradwife-Trend könnte eine Antwort auf diese Doppelbelastung sein. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nach wie vor eine Herausforderung, die oft zu Lasten der Frauen geht. Der Rückzug in traditionelle Rollen könnte als Reaktion auf diese Überforderung verstanden werden.
Nicht zuletzt stellt sich die Frage, welchen Einfluss dieser Trend auf junge Frauen hat. Es ist denkbar, dass er sie dazu bringt, ihre Prioritäten zu überdenken und möglicherweise neu zu setzen. Die ständige Konfrontation mit idealisierten Bildern eines traditionellen Familienlebens könnte gerade für junge Frauen in der Orientierungsphase prägend sein.
Widersprüche und Ambivalenzen der modernen Frauenrolle
Diese Aspekte zeigen, dass der Tradwife-Trend mehr ist als nur eine oberflächliche Mode – er berührt grundlegende gesellschaftliche Themen und Herausforderungen unserer Zeit. Er spiegelt die Widersprüche und Ambivalenzen wider, mit denen viele Frauen in Bezug auf ihre Rollen und Lebensentwürfe konfrontiert sind.
Der Trend wird oft im Zusammenhang mit einer zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung betrachtet. Während einerseits progressive Bewegungen für mehr Gleichberechtigung und Diversität eintreten, gibt es andererseits eine verstärkte Hinwendung zu traditionellen Werten und Strukturen. Der Tradwife-Trend könnte als Facette dieser Gegenbewegung zu modernen Rollenbildern gesehen werden.
Die Selbstdarstellung der Tradwife-Bewegung
Die Anhängerinnen der Tradwife-Bewegung betonen in ihren Social-Media-Auftritten häufig, dass es sich um eine bewusste und freiwillige Entscheidung handelt. Sie sehen ihr Leben nicht als Rückschritt, sondern als alternative Lebensform, die ihnen persönliche Erfüllung bietet.
In ihren Posts und Videos teilen sie regelmäßig ihre Gedanken zum Hausfrauendasein. Der gemeinsame Tenor: Sie haben sich gegen den gesellschaftlichen Mainstream entschieden und für ein Leben, das sie als authentischer und erfüllender empfinden als die Karriere-Orientierung.
Aspekt der Fürsorge und Heimeligkeit im Fokus
Dabei stellen sie oft den Aspekt der Fürsorge und Heimeligkeit in den Vordergrund. Die täglich dokumentierten Haushaltstätigkeiten werden nicht als Last, sondern als sinnstiftende Aufgaben präsentiert. Besonders die Zubereitung von Mahlzeiten für die Familie nimmt einen großen Stellenwert ein.
Diese Frauen präsentieren ihre Entscheidung als Ausdruck persönlicher Freiheit – als bewusste Wahl eines Lebensentwurfs, der zu ihnen passt, auch wenn er gesellschaftlich teils kritisch gesehen wird.
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Fazit: Tradwife-Trend als Fort- oder Rückschritt?
Der Tradwife-Hype ist mehr als nur ein kurioses Internet-Phänomen. Er rührt an den wunden Punkt einer Gesellschaft, in der die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oft ein Dauerstress-Thema ist. Während für die einen der Rückzug an den heimischen Herd die Erfüllung eines Traums darstellt, sehen andere darin die Geister der Vergangenheit.
Die größte Ironie dabei? Ohne Instagram, TikTok und Co. gäbe es diesen Retro-Trend gar nicht in dieser Form. Die traditionelle Hausfrau mit tausenden Followern und Sponsoring-Deals – das hätte in den 50ern niemand für möglich gehalten.
Am Ende bleibt es eine persönliche Entscheidung – solange sie wirklich frei getroffen wurde und nicht aus Mangel an Alternativen. Denn zwischen der perfekt inszenierten Instagram-Idylle und der täglichen Realität einer finanziellen Abhängigkeit liegen manchmal Welten.
Wie bei so vielen Social-Media-Trends gilt auch hier: Die Filter sind immer etwas rosiger als die Wirklichkeit.